Die Begegnung mit dem Klang des Holzes


Kurzgeschichte
VON MOMO WERNER WEVERS:

Gondwana hat sich gerade als kleinere Kontinente über die Meere verteilt, als sich in einer Ansiedlung unserer Urahnen mitten im Dschungel Afrikas der Hunger bemerkbar machte.

„Uhahh“ sagte Mam zu Pa, der gerade am Höhleneingang hockte und einem großen Vogel nachschaute, der mit kräftigen Schlägen seiner Flügel hoch über den Baumwipfeln mit seiner Beute in den Krallen verschwand. Mam zeigte auf ihre Kinder und dann auf ihren Bauch und wiederholte: „Uhahh“. Ja ja, er hatte es auch schon verspürt. Das nur kurz zu besänftigende, aber dann immer wiederkehrende, alles antreibende Gefühl.

„Uh“ sagte er, schnappte sich sein neuestes Werk, was er mühsam in den letzten Tagen aus einem dicken Ast mit einem scharfkantigen Stein herausgearbeitet hatte, die Keule. – Pa stand auf, schaute seiner Liebsten tief in die Augen, nahm sie zärtlich in den Arm und verschwand im dichten Dschungel.

In geduckter Haltung, ständig kampfbereit bahnte sich Pa den Weg durch dichtes Gestrüpp, kletterte über umgefallene Bäume und hielt Ausschau nach Beute. Er dachte kurz an den Vogel, der so wunderbar fliegen konnte. „Das möchte ich auch können“ dachte Pa und schaute hinauf zu den Baumkronen. Er sah ein riesiges Gewölbe in allen vorstellbaren Grüntönen, es surrte, zirpte und zwitscherte um ihn herum, aber nur selten bekam er ein Tier zu sehen, da sie sich ängstlich versteckten. Grunzen und Schreie hallten durch den Dschungel und hier und da fielen Sonnenstrahlen durch das Blätterdach bis ins düstere Unterholz. Sein Blick folgte einem Lichtstrahl hinunter.

Da, da hatte sich etwas bewegt. „Bestimmt etwas Essbares“, dachte Pa und schlich in die Richtung und schon huschte ein Kaninchen kurz vor ihm davon. „Uhahh“ rief er und dachte: „Dich kriege ich“. Flink wie er war, das Kaninchen im Blick, rannte er los über Stock und Stein. Ganz nah an der Ferse seiner Beute sah Pa, wie das Kaninchen auf einen quer liegenden flachen, fast brettartigen Ast zulief, hoffend, dort womöglich einen Unterschlupf zu finden. Pa warf sich mit einem kraftvollen Sprung dem Kaninchen hinterher. Im Flug schwang er seine Keule mit dem Gedanken: „Du wirst mir schmecken.“ Pa schlug zu und seine Keule durchschnitt heulend die Luft und traf den quer liegenden flachen Ast exakt in der Mitte zwischen seinen Auflagepunkten, die ziemlich genau so gelagert waren, dass es den physikalischen Bedingungen entsprach, um gut schwingen zu können. Zudem entsprach das Luftvolumen der Erdmulde unter dem Ast vorzüglich dem nötigen Resonanzraum, um diese Schwingung zu verstärken.

Ein wundersamer, bis dahin auf der Welt nie da gewesener Ton erklang. Für einen Moment war im Dschungel um ihn herum nichts anderes zu hören als dieser eine Ton. – Pa konnte es nicht fassen. Wie angewurzelt stand er vor dem noch leicht brummend ausschwingenden Ast. Der in ihm nachklingende Ton erinnerte Pa an den letzten Abend, als er mit seiner Sippe Töne gesungen hatte. Er schlug wieder auf den Ast, sang einen Ton, schlug, sang, schlug und sang, begleitet vom Surren, Zirpen, Zwitschern, Grunzen und Schreien. Als Pa seine Musik beendet hatte und einen Moment inne hielt überkam ihn eine Welle wohligen Glücks.

Ein leises Knurren, diesmal kam es aus seinem Bauch, holte ihn wieder zurück, dahin, weshalb er eigentlich im Dschungel war. Pa fand noch einige essbare Köstlichkeiten und kehrte zu seiner Sippe zurück, wohl wissend, dass er mit ihnen ein Erdlochxylophon bauen wird, womöglich das erste auf dieser Welt.